Diesen Beitrag habe ich zu lange aufgeschoben. Während der Quarantäne hätte ich Zeit gehabt. Jetzt wo ich wieder arbeite, fällt es mir schwer, mich lange genug dran zu setzen. Jedoch finde ich das Thema der Mutationen von SARS-CoV-2 und deren Auswirkungen auf die Virus-Wirt-Wechselwirkungen spannend. Im Rest vom Text verkürze ich das Wort „Omikron“ durch den griechischen Buchstabe ο.

Auslöser war das Ergebnis vom ersten PCR-Test vom Ehemann (Bild rechts). Seine Probe wurde für eine Sequenzierung ausgewählt: Die Proteinsequenz von seinen Viren wurde untersucht. Genauer gesagt wurde gezielt nach Mutationen gesucht, um die Variante vom Virus zu bestimmen. Mutationen sind wie ein Fingerabdruck der Varianten. Gefunden wurden die Mutation N501Y im RBM-Bereich (receptor binding motif) und die Deletion Δ69-70 im NTD-Bereich (N-terminal domain) des Stachelproteins. Weil andere Varianten vom Virus mit diesen beiden Mutationen derzeit nicht im Umlauf sind[1], reichen sie für eine eindeutige Identifizierung der ο-Variante. Dabei ist die Mutation N501Y schon in den α-, β- und γ-Varianten vorhanden, aber nicht in der δ-Variante.
Das untere Bild[2] zeigt alle Mutationen der ο-Variante, verglichen mit dem ursprünglichen Virus, mit dem die Pandemie begonnen hat. In diesem früheren Beitrag gibt es eine Erklärung dieser Darstellung.
Wo sich die zwei Mutationen, um die es heute geht, im Virus befinden, sieht man unten[3]. Das erste Bild links zeigt die Struktur vom Stachelprotein der ο-Variante im Bändermodell (PDB Modell 7T9K). Die zwei Mutationen habe ich als dicke Kugeln dargestellt, rot für N501Y und schwarz für Δ69-70.

Das zweite Bild zeigt die Mutationen im Trimer, weil sich die Stachelproteine gerne zu dritt auf der Oberfläche vom Virus gruppieren. Man sieht drei Proteine, also ist jede Mutation dreimal vorhanden, wobei die dritte Deletion Δ69-70 rechts unterhalb der ersten hinter den β-Faltblättern kaum zu sehen ist. Das dritte Bild zeigt ein einzelnes Stachelprotein, wie es mit dem schwarz dargestellten Rezeptor ACE2 gebunden ist, wenn das Virus den Wirt erfolgreich infiziert. Das letzte Bild zeigt das Stachelprotein, wie es von einem Antikörper[4] (ebenfalls schwarz dargestellt) gefangen wird.
Antikörper gegen das Virus, die man entweder durch eine Impfung oder eine Infektion entwickelt, erkennen das Teil vom Stachelprotein, das am Rezeptor bindet, und ihr Job ist es, es zu fangen, bevor es zum Rezeptor kommt. Es ist also nicht überraschend, dass der Antikörper das Stachelprotein da packt, wo es sonst am Rezeptor binden möchte. Wobei es auch Antikörper gibt, die andere Teile vom Stachelprotein packen, wie zum Beispiel im PDB Modell 7LQV, wo der NTD-Bereich angegriffen wird[5].
An den vier oberen Bildern sieht man, dass nur die Mutation N501Y einen Einfluss auf die Wechselwirkung zwischen Virus und Wirt haben kann. Die Deletion Δ69-70 liegt an einer Seitenschleife zwischen Virusoberfläche und RBD-Bereich und hat keinen Kontakt, weder mit dem Rezeptor noch mit dem Antikörper.
Was diese Deletion bewirkt ist nicht klar, da das Modell genau an der Stelle eine Lücke hat. Proteinmodelle weisen häufig Lücken auf. Meistens passiert es an Schleifen, die kaum Kontakte bilden und lose rum hängen. Solche Schleifen sind beweglicher als der Rest der Struktur. Sie mit herkömmlichen Methoden wie Röntgenbeugung oder Kryo-EM zu beschreiben ist sehr schwer, weil man einen gemittelten Zustand über ganz viele Proteine misst. Wenn eine Schleife flexibel ist, kann sie mehrere Konformationen annehmen und das Mittelbild davon ist zu diffus, um aussagekräftige Informationen zu bekommen.
Über die Auswirkungen von N501Y auf Wechselwirkungen mit dem Rezeptor ACE2 und Antikörpern werde ich in einem späteren Beitrag berichten. Sonst wird es hier viel zu lang.
[1] In der α-Variante sind auch beide Mutationen N501Y und Δ69-70 vorhanden. Die α-Variante ist aber von der δ-Variante letztes Jahr abgelöst worden.
[2] ο-Bild vom Stanford HIVDB Team, von PhiLiP zur Verfügung gestellt, unter der Lizenz Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International. Ich habe die Bereiche, die nicht zum Stachelprotein gehören, aus dem ursprünglichen Bild heraus geschnitten.
[3] Bilder mit PyMOL[6] gemacht.
[4] PDB Modell 7MJJ. Es handelt sich hier nicht um die ο-Variante, sondern um die ursprünglichen Variante, in der die Mutation N501Y eingefügt wurde. Die Forscher, die das Modell veröffentlicht haben, haben das Stachelprotein produziert, nachdem sie die Mutation gezielt eingeführt haben. Der Artikel dazu: Zhu, X. et al. (2021). „Cryo-electron microscopy structures of the N501Y SARS-CoV-2 spike protein in complex with ACE2 and 2 potent neutralizing antibodies“. PLoS Biol 19: e3001237-e3001237.
[6] Unbezahlte Werbung, da Namensnennung und Verlinkung.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf Meckereien & Co. erschienen.